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AutorenbildGrete Strunz

Die 6 Antreiber chronischer Symptome

Aktualisiert: 8. Jan.


6Fs Howard Schubiner

Dr. Howard Schubiner, Experte auf dem Gebiet der Mind-Body-Medizin, beschreibt in seinem Buch "Unlearn Your Pain" sechs typische Verhaltensmuster – "the 6 Fs“ – die chronischen Symptome oft unbewusst aufrechterhalten:


1 - FEAR (Angst vor den Symptomen) 

Die Angst vor Schmerzen oder anderen Symptomen ist einer der stärksten Verstärker. Wenn wir befürchten, dass die Symptome schlimmer werden oder nie wieder verschwinden, wird unser Nervensystem in einen Alarmzustand versetzt. Diese Angst signalisiert dem Gehirn: „Das hier ist gefährlich“, und kann dazu führen, dass die Symptome bestehen bleiben.


2 - FOCUS (Fokus auf die Symptome) 

Es ist fast unmöglich, Symptome zu ignorieren, wenn sie störend oder schmerzhaft sind. Doch ein ständiger Fokus auf das, was weh tut, sensibilisiert das Gehirn noch mehr für diese Empfindungen. Wie ein Scheinwerfer, der alles intensiver ausleuchtet, verstärkt der Fokus die Wahrnehmung von Symptomen.


3 - FIGHTING (Kampf gegen die Symptome) 

Viele Betroffene kämpfen aktiv gegen ihre Symptome an, sei es durch Überanstrengung, Durchbeißen oder das Vermeiden bestimmter Aktivitäten. Dieser Widerstand signalisiert dem Körper jedoch, dass etwas „nicht stimmt“, und verstärkt das Gefühl, dass die Symptome eine Bedrohung darstellen.


4 - FRUSTRATION (Frustration über die Symptome) 

Chronische Symptome können frustrierend und belastend sein. Diese emotionale Reaktion ist verständlich, doch Frustration erhöht den Stresspegel und kann das Nervensystem weiter anheizen. Das Gehirn interpretiert Frustration oft als zusätzlichen Hinweis darauf, dass die Situation kritisch ist.


5 - FIGURING OUT (Versuch, die Symptome zu verstehen) 

Das Grübeln und Analysieren der Symptome ist ein weiterer Mechanismus, der sie ungewollt verstärken kann. Fragen wie „Warum ist das passiert?“ oder „Was habe ich falsch gemacht?“ können uns in einer Endlosschleife aus Sorgen und Stress gefangen halten.


6 - FIXING (Versuch, die Symptome zu beheben) 

Der Drang, die Symptome schnellstmöglich zu „reparieren“, führt oft zu einer fieberhaften Suche nach Lösungen – sei es durch Therapien, Medikamente oder Lifestyle-Änderungen. Obwohl diese Bemühungen gut gemeint sind, vermitteln sie dem Gehirn die Botschaft, dass die Symptome gefährlich sind und unbedingt kontrolliert werden müssen.


Jeder zeigt die meisten dieser Reaktionen, und sie können auch hilfreich sein. Bei einem Mind-Body-Symptom jedoch sind genau diese Reaktionen kontraproduktiv. Sie senden Rückmeldungen an das Gehirn, die sagen: „Ja, es gibt ein Problem, ein großes Problem.“ Diese Rückmeldungen veranlassen das Gehirn, den Schmerz weiterhin zu erzeugen – und ihn im Laufe der Zeit sogar zu verstärken.


"Ja, ich erkenne die 6Fs bei mir, aber was kann ich tun?"


Das zu verstehen ist in der Theorie vielleicht einfach. Doch wie hilft das, wenn man mittendrin steckt?


Der erste wichtige Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass man diese 6 Fs anwendet. Zum Beispiel bemerkst du, dass dein Symptom wieder aufflammt, und versuchst, es mit allen verfügbaren Tools schnellstmöglich zu beseitigen. Oder nach ein paar besseren Tagen/Wochen sind die Symptome wieder da, und du bist frustriert. Diese Reaktionen sind normal und menschlich. Lass diese Reaktionen zu, wenn sie kommen wollen. Aber vielleicht gelingt es dir, auf den Pausenknopf zu drücken und bewusst wahrzunehmen, dass du gerade in die 6-Fs-Spirale gezogen wirst. Gedanken wie „Oh, da ist es wieder – ich versuche, mein Symptom mit aller Gewalt zu reparieren“ oder „Ich nehme wahr, dass ich heute frustriert, verärgert bin, dass meine Symptome wieder schlimmer sind“ können ein guter Anfang sein.


Es ist leichter gesagt als getan, ich weiß! Ich wünschte, ich hätte eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Anleitung für dich, um die 6 Fs zu vermeiden oder schnell aus diesen Verhaltensmustern herauszufinden. Doch die Mind-Body-Genesung ist ein bisschen wie ein Paartanz – manchmal klappt es gut, manchmal kommt ein Partner aus dem Takt, vergisst die Schritte oder tritt auf den Fuß. Der Genesungsweg ist nie geradlinig!


Hier ein paar Tipps, wie du deine "6 Fs" in "6 Es wie Erfolge" umwandeln kannst:


  • Ersetze die Angst vor den Symptomen mit Neugier: Was ist Nervensystem-Dysregulation? Wie drücken sich Nervensystem-Stressreaktionen im Körper physiologisch aus? Welche Rolle spielt das limbische System des Gehirns dabei? Und was bedeutet es, dass das Gehirn plastisch ist? Informiere dich über diese Vorgänge, damit du deinen Zustand für dich normalisieren kannst. Damit du deine "Gehirnsoftware" neu programmieren kannst mit Sätzen wie "Meine Symptome sind zwar echt, aber sie sind nicht gefährlich", "Sie sind äußerst unangenehm, aber nicht bedrohlich", "Meine Symptome sind ein Ergebnis der Dysregulation meines Nervensystems", "Die Symptome sind nur der Ausdruck der Stressreaktion meines Nervensystems".


Mittlerweile ist ziemlich viel darüber bekannt, wie Angstgedanken und Emotionen das limbische System des Gehirns in den Alarmzustand setzen können und den Kreislauf der Angst und des Schmerzes/Symptoms aufrechterhalten. Auf meiner Webseite www.schmerzumdeuten.de findest du viele Erklärungen sowie in den anderen Mind-Body-Ressourcen, die ich auf der Webseite erwähne. Lerne deinen Körper besser kennen, damit du dich über diese Vorgänge informierst, und bleib dabei neugierig.


  • Fokus durch Neugier ersetzen: Klar, es ist fast unmöglich, Symptome zu ignorieren. Aber auch hier, bringe Neugier ins Spiel mit deinen Symptomen. Somatic Tracking eignet sich hervorragend, um Symptome neugierig zu beobachten, ohne Angst zu verstärken. Du schenkst ihnen zwar Aufmerksamkeit, tust es aber durch die Linse der Sicherheit.


  • Graduierte Exposition: Graduierte Exposition, bekannt aus der Verhaltenstherapie, hat sich sehr gut bei der Überwindung chronischer Symptome bewährt. Damit meine ich, dass Vermeidungsverhalten Stück für Stück abgebaut wird, indem man sich in kleinen Schritten der triggernden Aktivität nähert. Bei dir tut langes Sitzen weh und deshalb vermeidest du das Sitzen oder benutzt dabei zig Hilfsmittel? Das Vermeiden und die Hilfsmittel vermitteln deinem Gehirn, dass diese Aktivität gefährlich ist. Sitzen an sich ist ja keine gefährliche oder belastende Aktivität. Unser Körper ist gemacht für Bewegung, Tragen des Gewichts, Sitzen, Liegen, Beugen, Sprinten. Mit Somatic Tracking kannst du dich schrittweise Aktivitäten wieder aussetzen. Auch hier helfen dir dein Mind-Body-Wissen und eine Einstellung der Neugier.


Auch das Durchbeißen und das Überanstrengen sind kontraproduktiv. Wenn deine Symptomlevels 10/10 sind, wollen wir selbstverständlich nicht, dass du da durchbeißt. Nein, hier hilft eher das Nervensystem mit Entspannungsübungen und positiven, selbst-stärkenden Affirmationen zu beruhigen.


  • Frustration durch Akzeptanz und emotionalen Ausdruck ersetzen: Chronische Symptome sind frustrierend, keine Frage. Das weiß ich von mir selbst. Da fällt es einem wirklich schwer, etwas Positives zu finden oder die Frustration zu ignorieren. Aber das ist ja auch nicht gewollt. Alle Gefühle sind willkommen, auch die Frustration. Du kannst das alles in einer JournalSpeak-Übung abladen – deine Frust, deine Wut, deine Trauer über das Leben, das du gerade nicht lebst. Lasse auch dieses Gefühl zu, aber verweile nicht zu lange darin. Du hast jederzeit die Möglichkeit, Selbstmitgefühl über Selbstmitleid zu wählen. Das ist aber eine bewusste Entscheidung, die du sowohl kognitiv als auch somatisch deinem Gehirn-Nervensystem-Duo vermitteln kannst.


  • Perfektionismus loslassen: Die "Streber:innen" unter uns (und ich zähle mich auf jeden Fall dazu) möchten auch die Genesung möglichst "richtig" und "perfekt" gestalten. Wir versuchen dann, uns möglichst detailliert zu informieren, alle Tools möglichst "richtig" umzusetzen und sind selbstkritisch, wenn es uns nicht (sofort) gelingt. In der Schule hat es ja fast jedes Mal geklappt – man hat sich gut vorbereitet, den Stoff gelernt und daraufhin eine sehr gute Note bekommen. Und hier funktioniert diese Strategie auf einmal nicht?! "Was mache ich falsch? Ich mache doch jeden Tag meine Übungen, warum wird es nicht besser?" Weil das alles durch die Linse der Angst geschieht. Du bist vielleicht zu sehr von dem Endergebnis abhängig. Du ersetzt aber damit die Angst vor den Symptomen mit der Angst vor dem Scheitern.


  • Flexibilität einführen: Ich liebe das Zitat von Nicole Sachs: "Trage es locker" oder "Wear it loosely". Für die Mind-Body-Genesung ist es wichtig, Flexibilität in dein Denken, Fühlen und Handeln zu integrieren. Was heißt Flexibilität? Ich nutze hier oft den Vergleich von den unzähligen Grautönen zwischen Schwarz und Weiß. Diese Grautöne sind die Flexibilität. Zum Beispiel, deine Definition vom Endergebnis ist "symptomfrei" – heißt es für dich, nie wieder Symptome zu haben (das wäre das schwarz-weiß Denken), oder könnte "symptomfrei" auch bedeuten, dass du sehr wahrscheinlich in der Zukunft ab und zu gleiche oder andere Symptome kriegen wirst, du sie aber als Botschaften deines Körpers deutest, ihnen neugierig begegnest, ohne sie sofortloswerden zu wollen.


  • Dringlichkeit loslassen: Der Drang, die unangenehmen Symptome oder Gedanken/Gefühle schnellstmöglich zu „reparieren“, ist menschlich und total nachvollziehbar. Es geht hier um dein Leben, und dein Leben ist dir wichtig. Aber du weißt auch, dass Dringlichkeit den gegenteiligen Effekt hat. Drück auf den Pausenknopf. Die kurze Pause zwischen dem Onset deiner Symptome und Panik bzw. dem Drang, sie wegzumachen, kann der Schlüssel für deine Genesung sein. Dieses Innehalten vom dessen, was ist, die Ergebung dem Hier und Jetzt, das Annehmen von der Version von dir und von deinem Leben, so wie es gerade ist, das Aushalten der Unsicherheit der Situation, ohne sofort nach Rat oder Tools zu greifen, das Loslassen der Dringlichkeit – das sind die Antreiber der Mind-Body-Genesung.


Der Weg aus dem Kreislauf der 6Fs


Der Weg aus dem 6 Fs-Kreislauf besteht darin, das Nervensystem zu beruhigen und eine Haltung der Akzeptanz und Neugier zu kultivieren. Anstatt Symptome zu fürchten, zu bekämpfen oder zu analysieren, kannst du lernen, sie als vorübergehende Signale des Körpers zu betrachten – Signale, die keine Gefahr bedeuten.


Indem du den Umgang mit deinen Symptomen veränderst, schaffst du die Grundlage dafür, dass sich dein Körper sicher fühlt – und oft beginnen die Symptome genau dann, sich zu lösen.





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