Der innere Widerstand ist ein natürlicher Teil des Genesungsprozesses. Widerstand kann sich in vielen Formen zeigen – als Vermeidungsverhalten, als Gefühl von Müdigkeit und Schläfrigkeit oder sogar als der Glaube, keine Zeit für die eigenen Bedürfnisse zu haben. Manchmal taucht er als ablenkende Aktivität auf, als "Aufschieberitis", die aus dem Wunsch entsteht, alles perfekt machen zu wollen. Ein Schub von Symptomen oder die Angst vor dem, was passieren könnte, kann ebenfalls Widerstand verkörpern. All diese Dinge tragen zu einem überwältigenden Gefühl bei, das dich davon abhält, die notwendigen Schritte zur Genesung zu unternehmen.
Widerstand - ein Schutzmechanismus
Unser Gehirn liebt Gewohnheiten, selbst wenn diese uns schaden. Veränderung bedeutet Ungewissheit, und das Gehirn interpretiert Ungewissheit als Bedrohung. Deshalb versucht es, uns in unserer Komfortzone zu halten, selbst wenn diese Komfortzone alles andere als gesund ist. Widerstand ist die Art und Weise, wie dein Gehirn dich genau dort hält, wo du bist – sicher, aber auf eine paradoxerweise unsichere Weise.
Doch hier liegt auch die Chance: Widerstand ist nicht dein Feind, sondern ein Signal deines Gehirns, dass du dich in unbekanntes Territorium begibst. Es ist eine Einladung, dich selbst und deine Reaktionen besser zu verstehen.
Wie zeigt sich Widerstand konkret?
Vermeidungsverhalten: Du vermeidest gezielt Situationen, die dich mit deiner Krankheit oder deinem Zustand konfrontieren könnten. Das kann bedeuten, dass du Termine beim Arzt* oder Therapeuten absagst, wichtige Gespräche vermeidest, dich körperlich schonst oder dir selbst einredest, dass du noch nicht bereit bist, bestimmte Schritte zu unternehmen.
Müdigkeit und Schläfrigkeit: Oft fühlt man sich plötzlich unglaublich müde oder schläfrig, sobald man beginnt, an seiner Genesung zu arbeiten. Du merkst, dass du beim Lesen eines Selbsthilfebuchs, beim Ausüben der JournalSpeak Übung oder Somatic Tracking, oder beim Nachdenken über die nächste Therapiesitzung ständig einschläfst oder dich einfach nicht konzentrieren kannst. Diese Müdigkeit kann ein Zeichen des Widerstands sein, der dich von der unangenehmen Arbeit der Heilung ablenken will.
Zeitmangel: Du glaubst, du hast keine Zeit für die Dinge, die dir gut tun würden. Die Yogastunde wird verschoben, weil du zu beschäftigt bist, oder die Zeit für Meditation und Entspannung geht im Alltag verloren. Oft ist "keine Zeit haben" ein Ausdruck des Widerstands, weil es einfacher ist, beschäftigt zu sein, als sich den eigenen Bedürfnissen zu stellen.
Ablenkende Aktivitäten: Du stellst fest, dass du ständig zu deinem Handy greifst, durch soziale Medien scrollst, oder exzessiv Serien schaust. Diese Ablenkungen verhindern, dass du dich mit den zugrunde liegenden Themen und Emotionen beschäftigst, die mit deinem Genesungsprozess verbunden sind. Es ist sozusagen einfacher, den Küchenschrank neu zu organisieren, obwohl man zum Beispiel Schmerzen hat, als eine konkrete Selbsthilfeübung wie JournalSpeak zu schreiben, weil die Arbeit mit den eigenen unterdrückten Gefühlen anstrengender und belastender ist.
"Aufschieberitis", weil man es perfekt machen will: Du hast das Gefühl, dass du nicht mit deiner Heilung beginnen kannst, weil die Bedingungen noch nicht ideal sind. Vielleicht wartest du darauf, dass die "perfekte" Motivation kommt, oder dass du das "perfekte" Programm gefunden hast. Diese Form des Widerstands ist besonders trügerisch, weil sie so aussieht, als würdest du dich um dich kümmern wollen – dabei führt sie nur dazu, dass du gar nichts machst. Perfektionismus wird so zu einer Form von Widerstand, weil er dich vom eigentlichen Tun abhält.
Schub der Symptome: Plötzlich tauchen wieder Symptome auf, von denen du dachtest, dass du sie überwunden hast, oder neue Beschwerden entstehen, sobald du anfängst, an dir zu arbeiten. Das ist aber dein Gehirn, das den Widerstand körperlich ausdrückt, um dich zu verunsichern und dich dazu zu bringen, aufzugeben.
Angst vor dem, was passieren könnte: Du hast Angst vor möglichen Konsequenzen deiner Genesung. Was passiert, wenn es nicht funktioniert? Was, wenn du dich deinen tiefsten Ängsten stellen musst? "Was will ich eigentlich, wenn meine Symptome weg sind, ich habe keinen Plan!" Diese Angst vor der Ungewissheit kann lähmend wirken und dich davon abhalten, die notwendigen Schritte zu gehen.
Überwältigung: Du fühlst dich von den Anforderungen des Genesungsprozesses überwältigt. Das Gefühl, dass es zu viel ist, dass du nicht genug Energie oder Ressourcen hast, kann dich dazu bringen, gar nichts zu tun. Diese Überwältigung ist ein typisches Zeichen von Widerstand, der dich davon abhalten will, den ersten Schritt zu machen.
Selbstsabotage: Du triffst unbewusst Entscheidungen, die deinem Fortschritt im Wege stehen, wie z. B. das Vernachlässigen gesunder Gewohnheiten, übermäßiges Essen oder Rauchen, obwohl du weißt, dass es dir schadet. Du sabotierst deine eigenen Bemühungen, dich besser zu fühlen, um eine tiefere, möglicherweise schmerzhafte Konfrontation mit dir selbst zu vermeiden.
Rationalisierung und Rechtfertigung: Du findest ständig Gründe, warum es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, mit etwas zu beginnen, was dir guttun würde. Diese Rationalisierungen können sehr überzeugend und logisch klingen, z. B. "Ich brauche erst noch mehr Informationen" oder "Die Schule fängt wieder an, ich bin mit den Kindern zu beschäftigt". Das ständige Rechtfertigen, warum du jetzt nicht handeln kannst, ist eine subtile Form des Widerstands.
Pessimismus und Selbstkritik: Negative Selbstgespräche und destruktive Gedanken wie "Das wird sowieso nicht funktionieren", "Ich schaffe das nie", oder "Ich bin nicht gut genug" sind typische Ausdrucksformen von innerem Widerstand. Sie zielen darauf ab, dein Selbstvertrauen zu untergraben und dich davon abzuhalten, mutig voranzuschreiten.
Ablenkung durch Helfen anderer: Du investierst viel Zeit und Energie, um anderen zu helfen oder ihre Probleme zu lösen, während du deine eigenen vernachlässigst. Es gibt dir das Gefühl, nützlich und produktiv zu sein, während du gleichzeitig deinen eigenen Heilungsprozess vermeidest.
Emotionale Taubheit: Ein Gefühl der emotionalen Taubheit oder das bewusste Unterdrücken von Emotionen kann ebenfalls ein Zeichen für inneren Widerstand sein. Anstatt sich den schwierigen Gefühlen zu stellen, die mit der Genesung einhergehen, ziehst du es vor, gar nichts zu fühlen, weil es sicherer erscheint. Das ist oft eine unbewusste Reaktion. Zum Beispiel, du müsstest eigentlich deine Schreibübung schreiben, brichst aber ab, weil du nichts Negatives fühlen konntest. Der Widerstand funktioniert hier wie eine Schutzmauer, hinter der sich innere ungelöste Konflikte und unterdrückte Gefühle bergen, die von dem Gehirn bedrohlicher eingestuft werden als das chronische Symptom.
Sich selbst kleinreden: Du redest dir selbst ein, dass deine Probleme nicht so groß oder wichtig sind und dass es anderen viel schlechter geht als dir. "Ich habe doch eigentlich keinen Stress in meinem Leben, meine Kindheit war super, meine Ehe funktioniert gut, mein Job zahlt gut. Ich habe kein Trauma erlebt. Den anderen geht es doch viel schlimmer." Auf diese Weise minimierst du deinen eigenen Schmerz und vermeidest es, die notwendige Arbeit zu leisten, die für deine Heilung erforderlich ist.
Prokrastination durch Informationssuche: Du verlierst dich in stundenlangen Recherchen zu einem Thema, das dich betrifft, und rechtfertigst es als „notwendige Vorbereitung“. In Wirklichkeit vermeidest du damit das eigentliche Handeln und die Umsetzung, die nötig wäre, um voranzukommen.
Flucht in Suchtverhalten: Innere Widerstände können sich auch durch Suchtverhalten manifestieren, wie übermäßigen Konsum von Alkohol, Drogen, Essen oder zwanghaftes Einkaufen. Suchtverhalten kann sich aber auch als exzessives Sporttreiben bis hin zum Extremsport äußern. Diese Verhaltensweisen dienen als Fluchtmechanismen, um in dem Moment nichts fühlen zu müssen und nicht mit der eigentlichen Ursache des Problems konfrontiert zu werden.
Ständiges Bedenken und Sorgen: Du bist ständig besorgt über mögliche Fehler, schlechte Entscheidungen oder die Konsequenzen deines Handelns. Diese endlosen Gedankenschleifen lassen dich in einem Zustand der Unsicherheit verharren, ohne jemals konkrete Schritte zu unternehmen.
Sich mit externen Umständen beschäftigen: Du konzentrierst dich auf äußere Faktoren, die deine Fortschritte angeblich verhindern, wie „schlechtes Wetter“, „zu viel Lärm“, „falsches Timing“, etc. Dadurch bleibst du in einer passiven Haltung und gibst äußeren Umständen die Kontrolle über deine Genesung.
Widerstand überwinden
Den inneren Widerstand zu überwinden bedeutet nicht, ihn komplett zu beseitigen – es bedeutet, ihn anzuerkennen, zu verstehen und aktiv mit ihm zu arbeiten, anstatt gegen ihn zu kämpfen.
Siehe den Widerstand an, für was er ist
Der erste Schritt, um den Widerstand zu überwinden, ist, ihn anzuerkennen. Betrachte den Widerstand genau. Frage dich, welche Form er gerade bei dir annimmt. Ist es "Aufschieberitis"? Angst vor möglichen Konsequenzen? Müdigkeit oder Überforderung? Beobachte deine Gedanken und Gefühle, ohne sie zu bewerten. Erkenne den Widerstand bewusst an. Allein die bewusste Wahrnehmung des Widerstands kann dir helfen, seine Macht zu verringern.
Akzeptiere den Widerstand
Erkenne, dass der Widerstand ein normaler und natürlicher Bestandteil des Prozesses ist. Akzeptanz bedeutet nicht, dass du den Widerstand einfach hinnehmen sollst, sondern dass du ihn als das erkennst, was er ist: eine normale Reaktion deines Gehirns auf das Unbekannte und das Unbequeme, und ein natürlicher Reflex deines Gehirns, dich zu beschützen.
Hinterfrage die Gründe für den Widerstand
Stelle dir selbst kritische Fragen: Warum widerstehst du gerade? Was befürchtest du? Welche Emotionen oder Überzeugungen stecken dahinter? Durch das Erforschen der Gründe für deinen Widerstand kannst du oft tiefere Ängste oder alte Muster identifizieren, die dich zurückhalten. Manchmal reicht es, diese Muster zu erkennen, um ihnen die Macht zu nehmen. Verändere deine Perspektive - versuche, den Widerstand aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Was könnte der Widerstand dir Positives zeigen? Vielleicht weist er auf eine Angst hin, die du überwinden kannst, oder auf ein Bedürfnis, das erfüllt werden muss. Sieh den Widerstand als eine Gelegenheit, mehr über dich selbst zu lernen und zu wachsen.
Setze auf kleine, machbare Schritte
Oft entsteht Widerstand, weil die bevorstehende Aufgabe überwältigend wirkt. Teile große Ziele in kleine, überschaubare Schritte auf. Anstatt dich darauf zu konzentrieren, dass du eine komplette Verhaltensänderung durchführen musst, beginne mit einem winzigen Schritt, der machbar erscheint. Kleine Erfolge helfen dabei, den Widerstand Stück für Stück zu verringern. Erstelle neue Routinen und Gewohnheiten, die deinem Ziel dienen. Wenn der Widerstand stark ist, hilft es, eine feste Struktur zu haben, an die du dich halten kannst. Routinen nehmen deinem Gehirn die Entscheidungslast ab, was hilft, den Widerstand zu reduzieren.
Nutze Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
Vermeide es, dich selbst für deinen Widerstand zu kritisieren oder zu verurteilen. Stattdessen, übe dich in Selbstmitgefühl. Sprich mit dir selbst so, wie du mit einem guten Freund sprechen würdest, der sich schwer tut. Selbstmitgefühl schafft einen sicheren Raum, in dem du ehrlicher zu dir selbst sein kannst und den Mut findest, trotz des Widerstands weiterzumachen.
Nutze Visualisierungstechniken
Stell dir vor, wie es sich anfühlen würde, deinen Widerstand zu überwinden und dein Ziel zu erreichen. Visualisierung kann dir helfen, eine emotionale Verbindung zu dem positiven Ergebnis aufzubauen, das du dir wünschst, und dir die nötige Motivation geben, die du brauchst, um den Widerstand zu durchbrechen.
Arbeite mit positiven Verstärkungen
Belohne dich selbst für kleine Fortschritte. Positive Verstärkungen wie kleine Belohnungen, Anerkennung oder einfach ein gutes Gefühl können motivieren, den nächsten Schritt zu gehen. Belohnungen signalisieren deinem Gehirn, dass es sich lohnt, durch den Widerstand hindurchzugehen.
Akzeptiere das Unbehagen
Veränderung ist oft unbequem. Lerne, dich mit diesem Unbehagen anzufreunden und es als Teil des Prozesses zu akzeptieren. Vermeide den Drang, sofortige Erleichterung zu suchen, und übe dich stattdessen darin, im Moment des Widerstands auszuhalten. Je öfter du das machst, desto weniger bedrohlich wird das Unbehagen wirken.
Finde deine innere Motivation
Verbinde dich mit deiner inneren Motivation, deinem „Warum“. Warum willst du die Veränderung wirklich? Welche tiefen, persönlichen Werte oder Wünsche treiben dich an? Ein starkes „Warum“ kann dir helfen, den Widerstand zu überwinden, weil es dir eine klare Richtung gibt und dich an dein Ziel erinnert.
Entwickle eine „Jetzt erst recht“-Haltung
Siehe den Widerstand als ein Zeichen dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist, und entwickle eine kämpferische „Jetzt erst recht“-Einstellung. Erlaube dir, wütend zu sein auf das, was dich zurückhält, und nutze diese Energie, um durch den Widerstand hindurchzugehen.
Den Widerstand befreunden
Widerstand ist eine natürliche Reaktion deines Gehirns auf Veränderungen. Er will dich dort halten, wo du bist, weil das sicher scheint. Doch wenn du symptomfrei leben möchtest, ist es notwendig, diesen Widerstand zu akzeptieren, ihn als das zu sehen, was er ist, und ihn dann entschlossen zu entmachten.
Innerer Widerstand kann sich auf viele Arten zeigen – manchmal offensichtlich, oft jedoch subtil und getarnt als rationales oder "vernünftiges" Verhalten. Jede Form des Widerstands ist eine Art Schutzmechanismus, der dich davon abhalten soll, dich in unbekanntes Territorium deiner Gefühlswelt zu wagen. Wenn du diese Ausdrucksformen erkennst und sie bewusst angehst, kannst du den Widerstand entmachten.
Widerstand ist ein Zeichen dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist. Nimm den Widerstand als einen Begleiter auf deiner Reise an und nehme ihn mutig auseinander, Schritt für Schritt. So erreichst du deine Genesung und öffnest für dich eine neue Tür in eine Welt der Selbstliebe.
Nimm gerne Kontakt auf wenn du Unterstützung brauchst. Mehr zu meinem Therapieansatz findest du hier: www.gretestrunz.de
*In diesem Text beziehen sich alle maskulinen Formen auf Personen jeglichen Geschlechts.
Comments