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  • AutorenbildGrete Strunz

Warum sind Visualisierungsübungen bei der Überwindung von chronischen Schmerzen wirksam?

Aktualisiert: 18. Mai


"The race can be lost before it's run." (Linford Christie)

Ein Zitat meines Kindheitsidolen, des britischen Sprinters Linford Christie hat mich als eine junge Leichtathletin sehr geprägt: "Du kannst das Rennen bereits vor dem Rennen verlieren." Auf Englisch klingt es irgendwie cooler. "The race can be lost before it's run." :-) Er hat damit gemeint, dass egal wie gut in Form dein Körper ist, wenn du dir aber mental einredest, dass du nicht gut genug bist und andere besser sind; wenn die Leistungsangst die Oberhand gewinnt und du dich in dem entscheidenden Moment mental nicht aufbauen weißt, hast du das Rennen bereits im Kopf verloren. Dein Körper ist nur so stark wie stark du mental bist. Dein Körper kann vieles aushalten, aber wenn deine mentale Stärke dich in dem entscheidenden Moment verlässt, nützt dir auch der stärkste und der schnellste Körper nicht.


So wie du deinen Körper trainierst, damit er stark und schnell wird, die Bewegungsabläufe präzise ausübt und Belastung aushalten kann, genauso wichtig ist dich auch mental zu trainieren. Um einen neuen Bewegungsablauf zu verinnerlichen, braucht es Wiederholungen. Meistens klappt es nicht gleich beim ersten mal. Mit regelmäßigem Trainieren lernt der Körper den Ablauf, die neuronalen Verbindungen des Ablaufs werden im Gehirn speichert und du wirst beim Üben immer besser.


So ist es auch mit dem mentalen Training. Um Wettkampfängste oder Ängste vor Verletzungen zu verlernen, und Selbstbewusstsein und positive Selbstsprache abrufen zu können braucht es Übung. Viele Wege führen zu dem Ziel. Ich möchte hier zwei für mich wichtigsten Wege nennen - der eine Weg führt über den Körper, der andere über den Kopf.


Warum sind Visualisierungsübungen wirksam?


Aus der Hirnforschung kennen wir, dass Energie der Aufmerksamkeit folgt ("Energy flows where attention goes"). Das heißt, je häufiger du dir etwas vorstellst, desto intensiver werden die entsprechenden Nervenbahnen genutzt und umso fester werden die neuronalen Verknüpfungen. Das Gehirn lernt ein Ergebnis zu antizipieren, auch wenn an das Ergebnis nur gedacht wird, ohne äußere Reize oder Stimuli.


Das Gehirn kennt nicht automatisch den Unterschied zwischen Realität und deine visualisierte Zukunft. Du schaffst nämlich deine Realität durch Gedankenkraft. Wie gesagt, je öfter du etwas visualisierst, umso mehr glaubt dein Gehirn, dass das die Realität ist. Der Körper folgt den Gedanken.


Deshalb sind Visualisierungsübungen (oder mental imagery) im Sport so ein wichtiger Teil des Mentaltrainings. Je häufiger ein Sportler einen Bewegungsablauf oder eine Wettbewerbssituation visualisiert, umso mehr gewöhnt sich das Gehirn daran und das autonome Nervensystem wird mit der Emotion vertraut. Wenn das eigentliche Ereignis z.B. ein Wettkampf stattfindet, weiß das Gehirn was zu tun ist und das Nervensystem hat gelernt, nicht mit übermäßigem Stress zu reagieren.


Negative Visualisierungen führen nicht zum positiven Ergebnis


Und hier kommt ein Aber... So wie du eine positive Realität visualisieren kannst, ist es leicht mit Gedankenkraft auch eine negative Realität zu schaffen. Visualisieren ist nämlich keine Einbahnstraße. Wie schon gesagt - Energie folgt der Aufmerksamkeit. Wenn negative Gedanken, z. B. über deine Symptome, deinen körperlichen Zustand, deine wegen der Symptome eingeschränkte Lebenslage im Vordergrund sind, werden diese Nervenbahnen intensiver genutzt und fester im Gehirn verknüpft. Das Gehirn wird das negative Ergebnis (Schmerz) antizipieren, weil daran so häufig gedacht wird, dass das Gehirn das Ergebnis bereits für die Realität hält.


Was hat das mit deinen chronischen Symptomen zu tun?


Auch chronische Symptome sind ein Ergebnis mit Gedankenkraft erschaffene Realität, an der das Gehirn mit allen Mitteln, u.a. mit Schmerzen oder anderen chronischen Symptomen, festhält, um dich zu schützen und dich am Leben zu erhalten.


Damit dein Gehirn die Schmerz- oder andere Symptomalarmsignale deaktivieren kann, müssen wir ihm eine neue Realität beibringen - eine Realität, in der deine Körperempfindung neutral und harmlos ist, Bewegung Freude macht und du dich in deinem Körper safe fühlst.


Körper und Kopf arbeiten zusammen


Visualisierungsübungen sind ein perfektes Tool dafür, weil sie sowohl den Kopf als auch den Körper einbeziehen. Mit der Übung änderst du auf kognitiver Ebene deine Gedankenmuster; auf somatischer (körperlicher) Ebene spürst du die Emotion (z. B. Freude, Sicherheit) und signalisierst deinem autonomen Nervensystem, dass keine Stressreaktion nötig ist.


Zum Beispiel, du bekommst Schmerzen wenn du lange sitzen musst. Am Wochenende steht eine lange Autofahrt vor. Du hast jetzt schon Angst, dass es weh tun wird. Wenn deine Gedanken in die Richtung kreisen, wie doll es weh tun wird, glaubt dein Gehirn diese Realität. Und ich kann dir versichern - es wird weh tun, wahrscheinlich sogar mehr als du gedacht hast ;-). Das ist einfach die Physiologie deines Körpers - das Gehirn verarbeitet diese Gedanken, der Körper ist wegen der Angst verspannt, weil das Nervensystem eine Bedrohung spürt, den Symptomen noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Teufelskreis der Angst und Schmerz wird perfekt.


Wie schon erwähnt, Visualisierungen werden im Sport sehr oft als Übung angewendet, um dem Körper und Gehirn zu signalisieren, dass der Sportler oder die Sportlerin körperlich und mental bereit ist, eine Top-Leistung zu bringen. Der Schlüssel dabei ist, z.B. den kompletten Wettkampfablauf von vorne bis zum Schluss, inklusive Umfeld mit Zuschauern sowie die Emotionen zu visualisieren, z. B. wie es sich anfühlt wenn man das Rennen gewinnt und die Medaille um den Hals gehängt bekommt, wie die Zuschauer jubeln und das Umfeld einem gratuliert. Es wird dabei selbstverständlich ein positiver Ablauf bzw. ein positives Ergebnis visualisiert.


Lass uns jetzt auch für dein Szenario eine neue Realität schaffen. Nimm eine gemütliche Stellung ein, die für dich möglichst wenig schmerzhaft ist, atme tief durch die Nase in deinen Bauchraum ein und langsam durch den Mund aus. Bleibe während der ganzen Übung in diesem Atemrhythmus. Visualisiere jetzt die lange Autofahrt von vorne bis zum Schluss in den kleinsten Details. Wie du deine Sachen packst, das Auto fertig machst, welche Snacks du auf der Fahrt essen willst, welche Musik oder welchen Podcast du hören wirst, wie deine Strecke läuft, wie sich dein Autositz anfühlt, vielleicht schaltest du die Po-Heizung oder Klimaanlage an, usw. Spüre die Emotion, wenn du unterwegs bist, etwas Interessantes dabei hörst, im Auto laut mitsingst oder dich mit deinem Beifahrer unterhältst. Fühle in die Vorfreude ein, wenn du am Ziel ankommst. Vielleicht lächelst du auch dabei, weil du dich so freust. Spüre wie es sich anfühlt wenn du am Ziel aus dem Auto steigst, deinen Körper streckst und während der ganzen Autofahrt keine Schmerzen hattest. Tue mit deiner Gedankenkraft einfach so als wäre die Autofahrt bereits real und du dabei keine Schmerzen hattest.


Wenn das Gehirn Eigenregie führt


Noch ein Tipp - es kann gut vorkommen, dass deine Symptome während der Visualisierungsübung in der Intensität stärker werden. Keine Angst! Ehrlich gesagt, ist das sogar erwünscht. Warum? Weil das ein wertvoller Beweis dafür ist, das dein kreatives schützendes Gehirn manchmal Eigenregie führt und dir eine falsche Realität vorgaukelt. Das tut es selbstverständlich nicht absichtlich, um dich zu ärgern. Nein, er nutzt in dem Moment schon vorhandene Verknüpfungen, um dich zu schützen. Vergiss nicht, dein Gehirn kann nicht zwischen real stattgefundenes Ereignis oder visualisiertes Ereignis unterscheiden. Für dein Gehirn ist alles was du denkst und fühlst die Realität - egal ob es schon passiert ist oder daran nur gedacht wird! Aber du hast ihn gerade dabei ertappt. Deine Aufgabe ist es, ihm neue Infos zu vermitteln, damit die falschen Verknüpfungen gelöscht werden. "Ich sitze doch gerade gar nicht in meinem Auto, wie kann es mehr weh tun? Danke für deinen Input, liebes Gehirn, aber deine Schätzung ist falsch. Lass mich dir helfen, eine neue Schätzung zu programmieren. Wir sind safe."


Üben, üben, üben


Wenn man nur ein mal über den Rasen läuft, wird es nicht sofort zu einem Trampelpfad. Du müsstest schon einige Male den gleichen Weg laufen, damit der Weg wie ein Trampelpfad aussieht. So funktioniert es auch mit Visualisierungsübungen - übe es mehrmals, damit sich dein Gehirn an die neue Realität gewöhnen kann.


Ich habe dir nur ein Beispiel beschrieben. Die Visualisierungsübungen sind aber universal anwendbar. Passe deine Visualisierung deinen chronischen Symptomen an. Vielleicht sind es bei dir Schmerzen im Liegen statt im Sitzen, oder Blähungen nach dem Essen bestimmter Lebensmittel, nächtliche Schlafprobleme, morgendliche panikartige Angstzustände, Knieschmerzen beim Sport, Angst vor einer bestimmten Bewegung usw. Visualisiere was du gerade brauchst. Mache das im Detail und immer mit einem positiven Ablauf und Endergebnis.


Du schaffst deine Realität durch Gedankenkraft. Der Körper folgt den Gedanken wenn die Emotion zugelassen und gefühlt wird. Nutze die großartige Fähigkeit deines Gehirns, sich ständig anzupassen, Neues zu lernen und eine neue Realität ohne deine chronischen Symptome zu kreieren!




Zum Schluss, ein kleiner persönlicher Visualisierungserfolg von mir


Zurück zu meinem Kindheitsidol, Linford Christie, den ich am Anfang dieses Betrags erwähnt habe. Ich habe als eine junge Leichtathletin sein Zitat "The race can be lost before it's run" verinnerlicht und sagte es mir vor jedem Wettkampf wie eine Art Mantra. Natürlich habe ich auch gehofft und visualisiert, dass ich ihn eines Tages persönlich treffen dürfte. Dies ist mir tatsächlich gelungen, als ich ihn nach einem spannenden Leichtathletik WM-Abend 2009 in Berlin unter den Zuschauern erkannt habe. Ein Fangirl Moment für die Ewigkeiten. :-)




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