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AutorenbildGrete Strunz

Einfluss des Placebo- und Nocebo-Effekts auf chronische Symptome

Der Nocebo Effekt

Der Placebo- und Nocebo-Effekt zeigen eindrucksvoll, wie stark unsere Gedanken und Erwartungen auf den Körper wirken können. Gerade bei chronischen Symptomen – Beschwerden, die einfach nicht verschwinden wollen – kann die Verbindung zwischen Geist und Körper einen echten Unterschied machen. Der Placebo-Effekt zeigt uns, dass positive Erwartungen den Heilungsprozess unterstützen können. Der Nocebo-Effekt hingegen ist das Gegenteil: Negative Erwartungen können Symptome verstärken oder sogar neue hervorrufen.


In diesem Blogpost möchte ich dir näherbringen, wie diese Effekte bei chronischen Symptomen wirken und warum sie gerade hier so wichtig sind. Viele Menschen, die schon lange unter Beschwerden leiden, finden es schwierig, an eine Besserung zu glauben. Doch genau darin liegt ein Schlüssel: Wenn du verstehst, wie deine Überzeugungen und Erwartungen dein Wohlbefinden beeinflussen können, wird klar, dass du damit aktiv auf deinen Heilungsprozess einwirken kannst. In diesem Beitrag erfährst du, wie der Placebo- und Nocebo-Effekt funktionieren und wie du sie gezielt nutzen kannst, um dich auf deinem Weg zu unterstützen.


Der Placebo Effekt


Der Placebo-Effekt beschreibt das Phänomen, bei dem sich der Zustand einer Person verbessert, obwohl sie ein wirkungsloses Mittel (das sogenannte Placebo) erhalten hat. Diese Verbesserung wird nicht durch die Substanz oder Eingriff selbst verursacht, sondern durch die Erwartung des Patienten*, dass die Behandlung wirkt. Placebos können Zuckerpillen, Kochsalzlösungen oder andere inaktive Substanzen sein, die keine pharmakologische Wirkung haben. Sie können sogar Scheinoperationen sein, bei denen der Patient den Eindruck hat, eine echte Operation zu erhalten, tatsächlich aber keine oder nur minimale medizinische Maßnahmen durchgeführt werden. Wenn eine Person jedoch glaubt, dass sie eine wirksame Behandlung erhält, kann das Gehirn entsprechende Veränderungen im Körper hervorrufen, die zu einer echten Verbesserung der Symptome führen.


​Der Placebo-Effekt ist ein gut dokumentiertes Phänomen und zeigt, wie stark der Glaube und die Erwartung das körperliche Wohlbefinden beeinflussen können. Er wird oft in klinischen Studien genutzt, um die tatsächliche Wirksamkeit von Medikamenten zu testen, indem man die Wirkung eines neuen Medikaments mit der Wirkung eines Placebos vergleicht.


Eine Studie aus dem Jahr 2005 untersuchte die Mechanismen der Placebo-Analgesie (Schmerzlinderung durch den Placebo-Effekt). Die Wissenschaftler kamen auf das Ergebnis, dass zwei - bewusste und unbewusste - Mechanismen bei Schmerzlinderung mit Placebos eine entscheidende Rolle spielten: 


  1. Erwartungsbasierte Schmerzlinderung: Bewusste Erwartungen beeinflussen das Gehirn und führen zu Schmerzlinderung. Diese Erwartungen können durch verbale Informationen, frühere Erfahrungen oder den Kontext der Behandlung geformt werden. Es wird angenommen, dass dieser Mechanismus das kognitive System aktiviert, das wiederum Hirnareale beeinflusst, die für die Schmerzverarbeitung verantwortlich sind, insbesondere die präfrontale Hirnrinde und das periaquäduktale Grau (PAG). 


  2. Konditionierungsbasierte Schmerzlinderung: Durch wiederholte Kopplung von schmerzlindernden Behandlungen und tatsächlicher Schmerzreduktion wird eine Placebo Reaktion erlernt. Der Effekt ist weniger von bewussten Erwartungen abhängig, sondern handelt sich um einen unbewussteren, automatischen Prozess, der ebenfalls über das Schmerzverarbeitungsnetzwerk im Gehirn verläuft, aber stärker durch periphere Mechanismen, wie etwa Opioidfreisetzung im Körper, gesteuert wird. Wenn das Gehirn gelernt hat, bestimmte Reize mit Schmerzlinderung zu verbinden, erzeugt es somit auch ohne aktive kognitive Erwartungen eine Placebo Reaktion. 


Neurobiologische Mechanismen des Placebo-Effekts


In dem Buch "Placebo and Pain: From Bench to Bedside" untersuchten Wissenschaftler, ob der Placebo-Effekt eine konditionierte erlernte Reaktion ist und kamen zu der Schlussfolgerung, dass der Placebo-Effekt mit realen biologischen Veränderungen im Gehirn einhergeht. Zentrale Mechanismen sind die Aktivierung von Gehirnarealen, die an der Schmerzverarbeitung und -modulation beteiligt sind, wie dem präfrontalen Kortex, dem anterioren cingulären Kortex und den periaquäduktalen Grau. Diese Regionen spielen eine Schlüsselrolle bei der Schmerzwahrnehmung und -hemmung. Placebos lösen die Ausschüttung endogener Substanzen wie Endorphinen und anderen Neurotransmittern aus, die als körpereigene Schmerzmittel wirken. Das bedeutet, dass eine Person, die an einen therapeutischen Nutzen glaubt, tatsächlich eine Reduzierung der Schmerzintensität erleben kann, da das Gehirn diese Prozesse aktiviert.


Placebos beeinflussen sowohl die körperliche Wahrnehmung von Schmerz als auch die emotionale Bewertung und Verarbeitung von Schmerzsignalen


Im Rahmen einer anderen Studie aus dem Jahr 2004 wollten die Forscher durch bildgebende Verfahren die spezifischen Gehirnareale identifizieren, die durch den Placebo-Effekt aktiviert oder deaktiviert werden, und herausfinden, ob diese Veränderungen sowohl in der antizipatorischen (vor Schmerz) als auch in der akuten (während Schmerz) Phase auftreten. Die Teilnehmer erhielten eine Placebo-Behandlung, bei der sie glaubten, eine schmerzlindernde Creme aufgetragen zu bekommen (die in Wirklichkeit keine Wirkstoffe enthielt). Während der gesamten Dauer des Experiments wurden mithilfe der fMRT Gehirnscans durchgeführt, um die neuronalen Reaktionen der Teilnehmer in Echtzeit zu messen. Die Ergebnisse der Studie zeigten deutliche Veränderungen in der Gehirnaktivität, die durch die Placebo-Behandlung hervorgerufen wurden:


  • In der Erwartungsphase, in der die Teilnehmer den Schmerz erwarteten, konnte die Placebo-Behandlung die Aktivität in Gehirnregionen reduzieren, die normalerweise mit der Erwartung von Schmerz in Verbindung gebracht werden. Besonders bemerkenswert war die Reduktion der Aktivität im präfrontalen Kortex und im anterioren cingulären Kortex (ACC). Diese Regionen sind entscheidend für die Antizipation von Schmerz und die emotionale Bewertung des bevorstehenden Unbehagens.


  • Die Autoren stellten fest, dass die Aktivierung des präfrontalen Kortex, der für die Regulierung von Emotionen und die kognitive Kontrolle über Schmerz verantwortlich ist, durch den Placebo-Effekt reduziert wurde. Dies deutet darauf hin, dass Placebos die emotionalen Reaktionen auf den bevorstehenden Schmerz abschwächen können, was zu einer verringerten Angst und einer positiveren Erwartungshaltung führt.


  • Auch während der tatsächlichen Schmerzerfahrung konnte die Placebo-Behandlung eine signifikante Verringerung der Schmerzempfindung und der damit verbundenen neuronalen Aktivität bewirken. Die fMRT-Scans zeigten, dass Placebos die Aktivität in schmerzverarbeitenden Regionen des Gehirns, wie dem somatosensorischen Kortex, dem Thalamus und dem Inselkortex, reduzierten. Diese Areale sind zentral für die sensorische und emotionale Verarbeitung von Schmerz und spielen eine wichtige Rolle bei der Intensitätswahrnehmung.


  • Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass der Placebo-Effekt nicht nur in sensorischen Bereichen des Gehirns, sondern auch in emotionalen und kognitiven Zentren wirksam war. Das bedeutet, dass Placebos sowohl die körperliche Wahrnehmung von Schmerz als auch die emotionale Bewertung und Verarbeitung von Schmerzsignalen beeinflussen.


Der Nocebo-Effekt


Der Nocebo-Effekt ist das Gegenteil des Placebo-Effekts. Dabei verschlechtern sich die Symptome oder es treten neue Beschwerden auf, weil die Person negative Erwartungen oder Überzeugungen bezüglich einer Behandlung oder eines Mittels hat – selbst wenn diese Behandlung wirkungslos ist. Ein Nocebo kann beispielsweise eine harmlose Zuckerpille oder eine andere inaktive Substanz sein, aber wenn der Patient glaubt, dass er Nebenwirkungen haben wird, kann der Körper tatsächlich negative Reaktionen zeigen. 


Beispiele Nocebo Effekt

Das Gehirn ist sehr beeinflussbar. Du liest Medienberichte darüber welche fiese Post Covid Symptome ein Infizierte entwickeln kann und schon entwickelst du sie nach deiner Infektion auch. Im Büro vergleichen Kolleginnen ihre Bandscheibenvorfall Diagnosen und schon wachst du eines Morgens mit starken Rückenschmerzen auf. Oder seit du dich erinnern kannst, litt deine Mutter häufig an Migräneattacken und als junge Erwachsene entwickelst due sie auch, während das in der Familie mit "weil das bei uns genetisch ist" erklärt wird. Oder der Klassiker - wenn dir der Arzt sagt "Damit müssen Sie leben", entwickelt daraus ein Glaubenssatz, dass du unheilbar kaputt bist, und die Intensität der Symptome lässt nicht mehr nach.


"Damit müssen Sie leben"


Wie schlecht gewählte Worte von Ärzten und Gesundheitspersonal allgemein ungewollt den Schmerz und das Leiden der Patienten verstärken können wurde sogar in einer Studie im Jahr 2017 untersucht. Die Ergebnisse der Studie zeigten deutlich, dass Teilnehmer, die von dem Gesundheitspersonal geäußerten negativen Erwartungen oder verbalen Hinweise auf verstärkte Schmerzen erhielten, eine signifikant höhere Schmerzempfindung berichteten. Obwohl keine physisch schmerzhafteren Reize verabreicht wurden, führte allein die Erwartung von mehr Schmerz, ausgelöst durch verbale Suggestionen des Gesundheitspersonals, dazu, dass die Teilnehmer den Schmerz intensiver erlebten. Dies belegt die starke Wirkung des Nocebo-Effekts, der durch kognitive Prozesse gesteuert wird.


Zusätzlich konnten die Forscher zeigen, dass die verbalen Suggestionen die Ausschüttung von Cholecystokinin (CCK), einem Neurotransmitter, der die Schmerzwahrnehmung verstärkt, fördern. Dieser Neurotransmitter spielt eine wichtige Rolle bei der Verschärfung von Schmerzempfindungen und verstärkt die neuronale Übertragung von Schmerzsignalen.


Die Studie unterstreicht die zentrale Rolle von Erwartungen und emotionalen Prozessen bei der Entstehung des Nocebo-Effekts. Negative verbale Hinweise beeinflussen nicht nur die kognitive Bewertung des bevorstehenden Schmerzes, sondern auch die emotionale Reaktion auf den Schmerz. Die Aktivierung des präfrontalen Kortex, der für die Regulation von Emotionen und Erwartungshaltungen verantwortlich ist, spielt hier eine entscheidende Rolle. Dies zeigt, dass der Nocebo-Effekt stark von der Interaktion zwischen kognitiven und emotionalen Systemen im Gehirn abhängt.


Was hilft, um den Nocebo-Effekt zu minimieren?


Wie kann man den Nocebo Effekt minimieren?
  • Idealerweise eine optimistische und weniger deterministische Kommunikation seitens Ärzte/Gesundheitspersonal. Wie oben demonstriert, hat die Wortwahl des Gesundheitspersonals einen erheblichen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung des Patienten.


  • Überzeugungen und Ängste wie "Ich werde nie wieder schmerzfrei sein" bei sich zu identifizieren und durch konstruktivere, realistischere Überzeugungen zu ersetzen, z. B. mit positiver formulierten Überzeugungen wie "Es gibt Wege, wie ich die Kontrolle über meine Schmerzen zurückgewinnen kann".


  • Selbstwirksamkeit stärken: wenn du daran glaubst, dass du deine Symptome selbst beeinflussen oder lindern kannst, bist du weniger anfällig für den Nocebo-Effekt.


  • Wie Studien zeigen, sind chronische Schmerzen häufig eng mit emotionalem Stress verknüpft. Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und andere Mind-Body-Therapien wie JournalSpeak, EAET, Pain Reprocessing Therapy können dir helfen, die Wahrnehmung und das Erleben von den Symptomen zu verändern.


  • Hör auf zu Googeln! Das "Googeln" von Symptomen oder das Lesen über extreme Krankheitsverläufe können den Nocebo-Effekt verstärken. Die ständige Konfrontation mit negativen Informationen kann dazu führen, dass du deine eigene Gesundheit schlechter einschätzt.


  • Häufig neigt man unbewusst dazu, sich auf die Rückschläge oder die Tage zu konzentrieren, an denen sich die Symptome verschlimmern. Eine Umstellung des Fokus auf positive Veränderungen – auch kleine Fortschritte – kann helfen, den Nocebo-Effekt zu durchbrechen. Reflektiere regelmäßig darüber, welche Bewältigungsstrategien funktioniert haben, und erinnere dich zurück an vergangene Verbesserungen.


Die Macht der Suggestion


Wie man oben lesen konnte, sowohl der Placebo-Effekt als auch der Nocebo-Effekt sind real und beide spielen eine wichtige Rolle bei der individuellen Symptom/ Schmerzerwartung und - wahrnehmung. Verbale Suggestionen - vom Arzt, aus den Medien oder im Austausch mit Familie und Bekannten - dass bestimmte Mittel oder Eingriffe die Symptome lindern bzw. verstärken können, tragen dazu bei, dass eine bestimmte Reaktion auf das Symptom kognitiv erlernt und wiederholt wird bzw. bestimmte neurobiologische Mechanismen aktiviert werden, darunter die Ausschüttung von CCK und die Verstärkung von Schmerzsignalen im Gehirn.


Aber hier liegt auch die Lösung: so wie negative Suggestionen des Arztes die Symptome verstärken können, kann auch eine einfühlsame positive Selbstsprache und bewusstes kognitives Brain Retraining Symptome lindern. Und so wie Placebo-Substanzen wie Zuckerpille eine Linderung hervorrufen kann, kann auch die Überzeugung über die eigene Selbstwirksamkeit Verbesserung bringen. Dreh den Spieß mal um und experimentiere mit diesem Wissen!


Nimm gerne Kontakt auf wenn du Unterstützung brauchst. Mehr zu meinem Therapieansatz findest du hier: www.gretestrunz.de


*In diesem Text beziehen sich alle maskulinen Formen auf Personen jeglichen Geschlechts.


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