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Mythen und Missverständnisse über Rückenschmerzen

  • Autorenbild: Grete Strunz
    Grete Strunz
  • 17. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit

chronischer Rückenschmerz

Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden überhaupt. Fast jeder Mensch erlebt sie irgendwann im Leben – und doch halten sich viele Mythen und Missverständnisse hartnäckig. Diese können Angst machen, den Heilungsprozess behindern oder sogar chronische Schmerzen begünstigen.


Eine neue Übersichtsarbeit mit dem Titel "Low back pain myths: a narrative review" von Sai Kripa und Mathivadhani Kadiresan (2024) nahm sich genau dieser Herausforderung an. Die Autoren führten eine narrative Review durch – das heißt: Sie durchsuchten eine große Anzahl wissenschaftlicher Publikationen und Studien zur Thematik Rückenschmerz-Mythen, werteten diese kritisch aus und systematisierten gängige Irrglauben.


Ihr Ziel war es, anhand der verfügbaren Daten – von biomechanischen Untersuchungen über Bildgebungsstudien bis hin zu Interventions- und Beobachtungsstudien – häufige Missverständnisse über Rückenschmerzen zu identifizieren und zu widerlegen.


Die Studie zeigt: Vieles, was wir über Rückenschmerzen zu wissen glauben, stimmt so nicht. Zeit also, mit den häufigsten Irrtümern aufzuräumen.


Mythos Nr. 1: "Schlechte Haltung verursacht Rückenschmerzen"


Lange Zeit galt: Wer "falsch" sitzt oder steht, bekommt Rückenschmerzen – und wer "richtig" sitzt, wird sie los. Doch wissenschaftlich lässt sich das nicht bestätigen. Es gibt keine ideale Körperhaltung, die alle Beschwerden verhindert. Und keine "falsche", die automatisch zu Schmerz führt. Jeder Körper ist anders, und die Wirbelsäule ist ein stabiles, anpassungsfähiges System.


Wichtiger als eine perfekte Haltung ist Bewegungsvielfalt: regelmäßig die Position zu wechseln, sich zu strecken, zu gehen oder sich auch mal bequem hinzulümmeln. Dein Rücken hält mehr aus, als du denkst.


Mythos Nr. 2: "Bandscheiben können verrutschen"


Der Begriff "verrutschte Bandscheibe" klingt dramatisch – ist aber irreführend. Die Bandscheibe kann nicht wirklich verrutschen, da sie fest mit den Wirbel-Endplatten verbunden ist. Diese stabilisieren die Bandscheibe, verteilen Druck gleichmäßig und dienen als Anker für Kollagenfasern. Studien zeigen, dass die Bandscheiben sehr widerstandsfähig sind. Jüngere Probanden benötigen etwa 336 kg Kraft, um die Bandscheibenhöhe um 1 mm zu verringern; ältere etwa 210 kg. Schädigungen entstehen häufiger durch Scherkräfte als durch Druck.


Was häufig gemeint ist, sind Vorwölbungen oder kleine Risse – normale Altersveränderungen, die viele Menschen haben, auch ganz ohne Schmerzen.

Selbst ein MRT-Befund mit "Bandscheibenvorfall" sagt nicht automatisch etwas über die Ursache der Schmerzen aus. Entscheidend sind die individuellen Symptome, nicht das Bild.


Mythos Nr. 3: "Ich brauche ein MRT, um zu wissen, was los ist"


Viele Menschen hoffen, dass eine Bildgebung (MRT, Röntgen) die Lösung bringt. Doch das ist selten der Fall. Studien zeigen, dass nur etwa 1 % aller Fälle eine ernste, seltene Ursache haben, bei der Bildgebung wirklich notwendig ist. In über 90 % der Fälle dagegen lässt sich keine eindeutige nozizeptive Ursache feststellen, weshalb die Diagnose häufig "unspezifische Rückenschmerzen" lautet – es gibt also keine klar erkennbare strukturelle Ursache.


Außerdem zeigen MRTs oft Veränderungen, die auch bei schmerzfreien Menschen vorkommen. In einer Studie hatten 52 % beschwerdefreier Personen Bandscheibenvorwölbungen oder andere Veränderungen im MRT – also Befunde, die oft zufällig und nicht ursächlich für Schmerzen sind. Andere Studien fanden:

  • 20 % der unter 60-Jährigen ohne Beschwerden hatten einen Bandscheibenvorfall.

  • Ein Drittel zeigte "auffällige" MRT-Befunde. Diese Ergebnisse sagten keine späteren Schmerzen voraus.


Übermäßige Anwendung von Scans kann sogar zu schlechteren Ergebnissen führen. Zu viele Scans können unnötig Angst auslösen oder zu überflüssigen Behandlungen führen.


Mythos Nr. 4: "Nur ein starker Core schützt den Rücken"


Kräftige Rumpfmuskeln sind hilfreich, ja – aber sie sind nicht der entscheidende Faktor gegen Rückenschmerzen. Studien zeigen, dass gezieltes Core-Training nicht wirksamer ist als andere Formen von Bewegung. Entscheidend ist, dass du dich bewegst – egal ob Spazieren, Tanzen, Yoga oder Radfahren.


Core-Übungen können guttun, aber sie sind kein Allheilmittel. Bewegung sollte Spaß machen und dein Vertrauen in den eigenen Körper stärken.


Mythos Nr. 5: "Rückenschmerzen nach Spinalanästhesie kommen von der Spritze"


Spinalanästhesie (Spinalblock) ist ein gängiges Verfahren zur Betäubung während Operationen. Zwar können nach dem Eingriff kurzzeitig Schmerzen an der Einstichstelle auftreten, doch diese verschwinden meist innerhalb weniger Tage. Viele Menschen führen trotzdem Schmerzen nach einer Operation auf die Spinalanästhesie zurück. Doch Studien zeigen: Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang.


Kurzzeitige Beschwerden an der Einstichstelle sind normal und klingen meist schnell ab.


Mythos Nr. 6: "Schweres Heben ist gefährlich für den Rücken"


"Hebe nie schwer, sonst ruinierst du deinen Rücken" – ein Satz, der vielen im Gedächtnis bleibt. Doch auch das ist ein Mythos. Viele vermeiden Sport oder Fitnessstudios aus Angst vor Verletzungen – dabei ist der Rücken deutlich stärker, als die meisten denken. Verletzungen entstehen meist durch falsche Technik, zu schnelle Steigerung oder fehlendes Aufwärmen.


Aber der Rücken ist kein zerbrechliches System. Regelmäßiges Training, Bewegung und das Vertrauen in den eigenen Körper stärken ihn sogar. Ein gesundes Maß zwischen Belastung und Erholung ist entscheidend.


Fazit: Dein Rücken ist stark und verlässlich!


Rückenschmerzen sind weit verbreitet, aber selten gefährlich. Die gute Nachricht: In den meisten Fällen ist keine Operation, kein MRT und keine starre Haltung oder Schonung nötig. Ein besseres Verständnis dieser Fakten kann helfen, Angst zu reduzieren, Selbstvertrauen zu stärken und eine aktive, selbstbestimmte Genesung zu fördern.


Was also hilft, ist Bewegung, Vertrauen und Geduld – und das Wissen, dass dein Rücken dafür gemacht ist, dich durchs Leben zu tragen.

"Erinnere dich: Es ist der Mensch, der behandelt werden muss – nicht nur die Wirbelsäule."



*In diesem Text beziehen sich alle maskulinen Formen auf Personen jeglichen Geschlechts.

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