Wie und wo entsteht Schmerz?
Schmerz entsteht im Gehirn. Du knallst deinen Zeh gegen einen Stein. Die Nervenbahnen in deinem Körper (in der Peripherie deines Zehs) melden diesen Vorfall bei deinem Gehirn, die Steuerungszentrale des Körpers. Signale aus deinem Körper informieren das Gehirn über mögliche Gewebeschäden. Das Gehirn schätzt ein, ob der Vorfall für den Körper gefährlich sein könnte oder nicht. Ein Schmerzgedächtnis hilft ihm dabei. Es bewertet und vergleicht dabei alle ähnlichen vergangenen Erfahrungen. Ein Gewebeschäden oder ein Knochenbruch bewertet das Gehirn als "gefährlich", also schaltet das Gehirn die Gefahrensignale für alle Fälle ein und schickt die Schmerzsignale über die Nervenbahnen in den Zeh. Das passiert selbstverständlich blitzschnell und ohne dein bewusstes Handeln. Es interessiert das Gehirn in dem Moment nicht, wie DU entscheiden würdest. Es muss dich schützen, und in dem Moment schützt es dich mit Schmerzen.
Es ist nicht dein Zeh, der entscheidet ob der Schmerz entsteht; seine Aufgabe ist nur den Vorfall beim Gehirn zu melden. Schmerz existiert erst, wenn das Gehirn es so entscheidet. Schmerzsignale werden vom Gehirn aktiviert und über die Nervenbahnen in die Stelle im Körper übermittelt.
Manchmal bestehen Schmerzen weiter, nachdem strukturelle Schäden schon geheilt sind. Bei einer Verletzung entwickelt das Gehirn neuronale Verknüpfungen, um die Schmerzerfahrung zu bewerten und zu verarbeiten. Diese Bewertung wird im Schmerzgedächtnis gespeichert. Das ist eigentlich ein Lernprozess wie jede andere, bei der du neue Gewohnheiten oder Verhaltensweisen lernst, wie zum Beispiel Schwimmen lernen oder eine Rauchentwöhnung. Mit viel Übung gelingt es dem Gehirn, neue neuronale Verknüpfungen zu entwickeln. Leider kann das Gehirn auch ein ziemlich gutes Schmerzgedächnis entwickeln und das bedeutet, dass neuronale Schaltkreise auch nach der Heilung des Körpers weiterhin Schmerzen erzeugen können.
Chronische neuroplastische Schmerzen entstehen wenn die Kommunikation zwischen Körper und Gehirn gestört ist und das Gehirn neutrale Empfindungen des Körpers falsch interpretiert und damit sichere Botschaften des Körpers als gefährlich und schädlich bewertet. Mit anderen Worten, neuroplastischer Schmerz ist ein Fehlalarm.
Chronischer Schmerz ist oft das Ergebnis erlernter Nervenbahnen im Gehirn. Und genauso wie Schmerz erlernt werden kann, kann er auch wieder verlernt werden. Wie erfährst du unter dem Menüpunkt Tools.
Schmerz als Ablenkung
Schmerz an sich ist nicht unbedingt schlecht, du kannst ihn vielmehr als eine Art Signal oder Informationen aus deinem Nervensystem verstehen. Der Schmerz lenkt die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich oder eine bestimmte Situation. Zum Beispiel, wenn du dir den Fuß verstaucht, empfindest du Schmerz. Dieser Schmerz signalisiert, dass etwas nicht in Ordnung ist und du diesen Fuß schonen solltest, um eine weitere Verletzung zu vermeiden. Der Schmerz lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verletzung und verhindert, dass du sie ignorierst und möglicherweise verschlimmerst.
Das Gehirn kann körperliche Schmerzen auch als eine Art Abwehrmechanismus einsetzen, um die Aufmerksamkeit von tieferen, emotionalen oder psychischen Problemen abzulenken, die schwerer zu bewältigen sein könnten als der körperliche Schmerz selbst. Dieser Prozess geschieht oft unbewusst und kann auf verschiedene Arten erklärt werden:
1. Ablenkung: Wenn du körperlichen Schmerz empfindest, zum Beispiel Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen, konzentriert sich dein Bewusstsein automatisch auf diese körperlichen Symptome. Diese Fokussierung auf den physischen Schmerz lenkt deine Gedanken von tieferliegenden emotionalen Problemen wie Trauer, Angst oder Stress ab. Das Gehirn priorisiert den akuteren, greifbareren Schmerz, weil er unmittelbarer erscheint und einer Lösung bedarf.
2. Schutzmechanismus: Emotionale Schmerzen oder tiefsitzende psychische Probleme können überwältigend sein und Gefühle der Hilflosigkeit oder Ohnmacht auslösen. Das Gehirn schützt sich vor dieser Überwältigung, indem es körperlichen Schmerz erzeugt oder verstärkt. Dieser körperliche Schmerz kann einfacher zu identifizieren und zu behandeln sein (zum Beispiel durch Ruhe, Medikamente oder Physiotherapie) und wirkt dadurch "kontrollierbarer" als die oft komplexen und schwer fassbaren emotionalen Probleme.
3. Körper-Geist-Verbindung: Körperliche und emotionale Schmerzen sind eng miteinander verbunden. Stress, Angst oder ungelöste emotionale Konflikte können zu Muskelverspannungen, Verdauungsproblemen oder anderen körperlichen Symptomen führen. Wenn diese körperlichen Symptome auftreten, können sie den Fokus vom emotionalen Schmerz auf den physischen Schmerz verlagern. Dies kann dem Gehirn helfen, den emotionalen Schmerz temporär zu vermeiden, indem es sich mit dem körperlichen Schmerz beschäftigt. Langfristig ist diese Strategie aber keine Lösung.
Zum Beispiel, jemand, der gerade eine schwere Trennung durchmacht, könnte plötzlich Rückenschmerzen entwickeln. Der Rückenschmerz lenkt die Aufmerksamkeit von der intensiven Trauer und den emotionalen Schmerzen ab, die durch die Trennung verursacht wurden. Indem das Gehirn sich auf den Rückenschmerz konzentriert, schützt es die Person vor der Überwältigung durch die emotionalen Schmerzen, die tiefer gehen und schwerer zu verarbeiten sind.
Das Gehirn nutzt körperlichen Schmerz als eine Art "Deckmantel" oder Ablenkung, um uns vor dem emotionalen Schmerz zu bewahren, der möglicherweise noch belastender und schwieriger zu bewältigen wäre.
The only way is though!
Der einzige Weg, um mit schwierigen Gefühlen und Emotionen umzugehen, besteht darin, sie direkt zu durchleben und zu verarbeiten, anstatt sie zu vermeiden oder zu unterdrücken. Echte Heilung ist nur möglich , wenn du dich den eigenen inneren Herausforderungen stellt, anstatt vor ihnen wegzulaufen.
Nur so kannst du deinem Gehirn vermitteln, dass Gefühle zu fühlen sicher ist, du diese emotionalen Herausforderungen aushalten kannst und damit die Ablenkung durch Schmerz nicht mehr nötig ist. Lerne wie du das tun kannst unter dem Menüpunkt Tools und JournalSpeak.
Intensiv heißt nicht automatisch Bedrohung
Die Stärke oder Intensität, mit der du deine Symptome wahrnimmst, steht nicht unbedingt im Verhältnis zu einer realen körperlichen Gefahr oder Bedrohung. Mit anderen Worten, nur weil sich ein Symptom sehr intensiv oder unangenehm anfühlt, heißt das nicht, dass es auf eine ernsthafte Gefahr für deinen Körper hinweist.
Die Intensität von Symptomen kann Angst auslösen und das Gefühl vermitteln, dass eine ernsthafte Bedrohung vorliegt. Doch oft ist dies nicht der Fall – die Symptome sind real und unangenehm, aber sie spiegeln nicht immer eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit wider. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Schmerz und Unbehagen nicht immer in direktem Zusammenhang mit der Schwere einer Bedrohung stehen.